Susann Wintsch, Kuratorin und Kunsthistorikerin
Zürich, 29. Mai 2019
2004 publizierte die politische Philosophin Silvia Federici eine Studie mit dem Titel «Caliban und die Hexe» und eröffnete damit neue Blickwinkel auf die Hexenprozesse. Diese, so stellt Federici fest, entwickelten sich parallel zum beginnenden Kapitalismus. Aus diesem Grund müsse man die beiden Bewegungen als voneinander abhängig untersuchen.
In den Gewaltexzessen der Hexenverfolgung wurden «wissende» Frauen (und manche Männer) für ihre «besessenen« Körper bestraft. Später, als die Prinzipien der Aufklärung zu greifen begannen, war es bereits tief in das Bewusstsein der Menschen in ganz Europa eingesunken, dass allein Männer in der Lage sind, Vernunft und Verstand walten zu lassen. Die Folgen zeigen sich bis in die Gegenwart: Selbst in der Schweiz beziehen Frauen einen kleineren Lohn oder sie arbeiten unbezahlt, wenn sie etwa ihre Kinder erziehen. Und noch immer ist Gewalt gegen Frauen gesellschaftlich akzeptiert.
Wenn Frauen der institutionalisierten Gewalt widersprechen, wenden sie sich gegen das etablierte System. Sprechen führt nicht selten zu Isolation oder neuerlicher Blossstellung. Deshalb braucht Sprechen Mut. Der systematischen Gewalt Einhalt zu gebieten heisst, das Schweigen aufzubrechen. In diesem Engagement bewegt sich Franziska Grebers weltumspannendes Projekt «Women in the Dark».
Die Künstlerin sammelt Stimmen, sammelt Geschichten von der Verachtung gegen Frauen. Was niemand hören will, bringt Franziska Greber in eine ästhetische Form. In der Ausstellung «SchweigenPunkt» werden wir buchstäblich von Müllsäcken empfangen. Die Geschichten, die möglicherweise darin verborgen sind, haben für die Gesellschaft keinen Wert, denn diese schützt und schätzt sie nicht. Eines der Interviews auf dem Dachboden erzählt von dieser demütigenden Erfahrung.
Franziska Grebers Installationen wollen unangenehm berühren. Aber sie sind auch schön, weil die Künstlerin etwa mit der Poesie der Regentropfen arbeitet. Dennoch bleibt die Vorstellung abstossend, dass die schwarzen Tropfen über uns schweben, denn es ist ja nicht auszudenken, wenn sie genau über unseren Köpfen platzen würden. Doch genau diesen Eindruck erwecken sie.
Angesichts von Franziska Grebers Installationen sollte, könnte man an die verzweifelte realistische Poesie von Rose Ausländer, von Nelly Sachs oder Paul Celan denken. Kennen Sie Nelly Sachs? Eine Untersuchung des Leseverhaltens hat gezeigt, dass Frauen auch Literatur von Männern lesen, Männer aber kaum Literatur von Frauen. Die Ästhetik des Hässlichen wiederum ist übrigens, wie die Hexenprozesse, eine Errungenschaft der Aufklärung. Francisco de Goyas Grafikzyklus Die Schrecken des Krieges» (1810–1814) oder auch Théodore Géricaults Gemälde «Das Floss der Medusa» (1819) waren eine radikale Anklage an die Gesellschaft, für welche die Künstler auch «hässliche» Formen zu finden versuchten. Goya trieb wüste Kratzer und harte Schnitte in die Kupferplatten, um den schönen Schein des klassizistischen Körpers zu zerstören. Dagegen besitzen Géricaults Schiffbrüchige wunderschöne Körper, doch ist ihre Farbe so gespenstisch gelb, dass sie an Leichen erinnern. Beide Kunstwerke waren in ihrer Zeit so radikal, dass sie nicht ausgestellt werden konnten.
Auch Franziska Grebers Kugel aus zusammengeschnürten weissen Blusen – von allen Seiten werden die Trägerinnen beschränkt und kontrolliert, und nur sehr flach können sie in den Kleidungsstücken atmen – ist eine lebendige und sprechende Metapher. Dasselbe gilt für die Installation aus Matratzen auf dem Estrich, die diesen Raum in einen Ort voller ungemütlicher Geheimnisse verwandelt.
Franziska Grebers Installationen sind offen und stossen deshalb viele Kontexte auf. Offenheit ist auch nicht belehrend. Die Künstlerin, um Nancy Spivak zu zitieren, spricht nicht für die anderen. Stattdessen spricht sie von ihnen – und gibt ihnen damit Gehör.